Rennsteiglauf Halbmarathon

Der Weg ist das Ziel

Eine Midlife-Krise soll Menschen mittleren Alters ganz unerwartet treffen können und sich oftmals in Form eines ausgeprägten Wunsches nach Veränderung äußern. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dieses Thema stets etwas ungläubig belächelt zu haben.

Mit 40 war ich Mutter einer 11-jährigen Tochter und hatte gerade den Job gewechselt. Insgeheim sehnte ich mich nach einer neuen Herausforderung, in der Hoffnung, endlich die Lorbeeren für mein mühevolles Abendschulstudium ernten zu können. Ich war etwas pummelig und fühlte mich für mein Alter ziemlich unattraktiv. Ich wünschte mir, wie in jungen Jahren schicke Kleidung tragen zu können und im Beruf nochmal voll durchzustarten. Der neue Job forderte mich stark, ich musste plötzlich vor Publikum stehen und Versammlungen leiten. Aber es gibt nichts, was man nicht lernen kann und ich war hochmotiviert und schlug mich tapfer. Nach der Arbeit begann ich, mich in meine Jogginghose zu werfen und heimlich den Pfad hinter unserem Grundstück entlang zu joggen. Ich schämte mich für meine Figur und stellte mir vor, wie die Leute über mich lästern, wenn ich mit meinem dicken Hintern schnaufend an ihnen vorbeilief. Daher lief ich stets abseits der Straße und ärgerte mich über meine nicht vorhandene Kondition. Aber ich machte weiter, mehrmals pro Woche. Die Strecke wurde länger, die Pausen, die ich benötigte, immer weniger. Nach ein paar Monaten lief ich 10 km am Stück und fühlte mich großartig. Gewichtstechnisch änderte sich aufgrund des Muskelaufbaus nicht viel, aber die Klamotten rutschten plötzlich. So gönnte ich mir farbenfrohe Sportkleidung und mein Selbstbewusstsein stieg. Als mein Vater einmal zu mir sagte: „Wenn du 10 km laufen kannst, schaffst du auch einen Halbmarathon.“, wurde in der Frühstückspause im Büro die verrückte Idee geboren, gemeinsam mit einem Arbeitskollegen am Halbmarathon des legendären Rennsteiglaufs teilzunehmen. Nachdem die Anmeldung abgeschickt war, gab es kein Zurück mehr. Und tatsächlich lief ich am 26.05.2018 eine Strecke von 21,1 km und erreichte nach 2 Stunden 47 Minuten und 23 Sekunden Platz 286 meiner Altersklasse. Ich feierte meinen Erfolg mit zwei Bekannten, die sich ebenfalls dieser Herausforderung gestellt hatten.

Wen das Ganze absolut nicht interessierte und wer den Akt von oben herab als „Midlife-Crisis“ bezeichnete, war mein Mann. Damals ärgerte ich mich nur darüber, heute fügt sich dieses eine Puzzleteil ein in ein riesiges Konstrukt einer toxischen und stupiden Beziehung.

Fünf Jahre später war mein Leben ein völlig anderes. Ich war geschieden und blühte dank meines neuen Partners auf. Einmal erzählte ich ihm vom Rennsteiglauf und dem tollen Gemeinschaftsgefühl der Sportler. Wie man unter Adrenalin völlig schmerzfrei im Ziel ankommt und abends gemeinsam im Festzelt feiert. In diesem Jahr, am 23. Mai 2023 jährte sich der Rennsteiglauf zum 50. Mal. Mein Freund fand die Idee gemeinsam mit mir zu laufen und das Ziel zu erreichen, so faszinierend, dass er noch am selben Abend zwei Anmeldungen abschickte. Es gab nur ein Problem: Wir waren beide seit Jahren nicht gelaufen und die Veranstaltung sollte in 6 Wochen stattfinden. Es war uns völlig egal, ganz nach dem Motto: dabei sein und ankommen ist alles...

So trainierten wir jeden zweiten Tag, liefen Runden und dehnten diese kontinuierlich aus. Tage vor dem Lauf waren wir streckentechnisch noch weit von einem Halbmarathon entfernt.

Am 23. Mai erwartete uns wie schon damals vor fünf Jahren Kaiserwetter in Oberhof. Wir liefen etwa die Hälfte der Strecke gemeinsam, dann bekam mein Freund Schmerzen und schlug vor, dass ich einfach mein eigenes Tempo laufe. Und tatsächlich, ich erreichte nach knapp 3 Stunden das Ziel und 5 Minuten später kam auch mein Freund ins Ziel gelaufen. Wir vergossen beide Tränen der Freude. Es war ein Geschenk, dieses Gefühl gemeinsam mit ihm zu erleben.

Am Abend ließen wir uns die Läuferparty in Schmiedefeld nicht entgehen. Die Stimmung dort war nicht zu beschreiben, man tanzte ausgelassen auf den Bänken und sang gemeinsam mit den Finishern der übrigen Läufe.

Viele konnten kaum glauben, dass wir dies in dieser kurzen Trainingszeit tatsächlich durchgezogen hatten.

Dieses Erlebnis war eines der aufschlussreichsten in meinem bisherigen Leben. Zu sehen, wozu man fähig ist und dies gemeinsam mit jemandem zu teilen, der einen von Herzen liebt, ist einfach unbeschreiblich wertvoll.

 

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